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1. September 2006  

Magie und Manipulation

Magische Zauberkugel (messe-ideen.de)von Daniel Palloks

Die Magische Zauberkugel ist ein Beispiel für ein verblüffendes Kunststück, bei dem scheinbar die Gedanken des Spielers gelesen werden. – Doch das Spiel ist auch ein Lehrstück in Sachen Mechanismen der Manipulation.

Das Phänomen

Das Ganze läuft so ab: Man denkt sich eine beliebige zweistellige Zahl, führt eine einfache Rechnung damit durch, erhält ein Ergebnis, sucht dieses in einer Liste und findet ein dazugehöriges Symbol. Auf dieses soll man sich konzentrieren und dann die Kugel befragen — und wunderbarerweise zeigt sie einem dann genau das Symbol, an das man gedacht hat, und zwar egal, welches Symbol man durch die Rechnung erhält. Die Sache ist natürlich relativ simpel erklärbar…

[ACHTUNG, WER ES SELBST RAUSKRIEGEN WILL, SOLLTE ERST SPIELEN ODER DEN FOLGENDEN ABSATZ ÜBERSPRINGEN!]

Der Trick besteht aus zwei Teilen: Einmal sind bei der Rechnung nur bestimmte Zahlen als Ergebnis möglich, und genau diese Zahlen bekommen alle dasselbe Symbol zugeteilt, und dieses Symbol "errät" auch die Kugel. Zum anderen wird die Anordnung der Symbole bei jedem Durchlauf verändert, so daß selbst bei ein und demselben Ergebnis jedesmal ein anderes Symbol erscheint — allerdings jedesmal dasselbe für alle möglichen Ergebnisse der Rechnung.Hier nun die "magische" Rechnung:

Die zweistellige Zahl (z) besteht aus zwei Ziffern, m (=1...9) und n (=0...9). Die Ziffer m gibt den Zehneranteil, n den Eineranteil:

z = 10*m + n

Jetzt die konkrete Aufgabe (s. Website): "Addiere beide Ziffern und ziehe das Ergebnis von der Ursprungszahl z ab." Das Ergebnis nennen wir x:

x = z - (m + n)

Hier setzen wir obige allgemeine Festlegung für z ein:

x = 10*m + n - (m + n)
x = 10*m + n - m - n
x = 10*m - m
x = 9*m

Das Ergebnis kann also nur eine durch 9 teilbare Zahl sein (abhängig von m: 9*1, 9*2 … bis 9*9), muß also der "Malfolge der 9" angehören. Ein Blick auf die magische Liste zeigt nun, daß auf allen diesen Positionen dasselbe Symbol steht – wenn auch bei jedem Durchlauf immer ein anderes.

Die Ablenkung bei der Rechnung besteht darin, daß man m+n addieren soll. Tatsächlich geht es aber nur darum, n zu eliminieren, d.h. die Lösungsmenge von 90 Möglichkeiten auf 9 zu reduzieren. Würde die Aufgabe aber einfach lauten: "Ziehen Sie die zweite Ziffer (also n) von der gedachten Zahl ab", dann wäre die Sache wirklich allzu leicht zu durchschauen.

 

Die Zauberkugel verblüfft aber noch in anderer Hinsicht: Sie ist ein erstaunlich gutes Modell für Manipulation.

 

Das manipulative System

Dadurch, daß man Menschen zwingt, sich bestimmten Denkregeln unterzuordnen und ihnen entsprechende Verhaltensweisen oder auch Riten auferlegt (hier: kleine Rechenaufgabe) – die allerdings nicht kreativ, sondern in ihrem Ergebnis genau festgelegt sind –, schafft man es, sie zu verblüffen bzw. jede beliebige Wirkung zu erzielen. Dazu wird eine falsche Fährte (oder mehrere) gelegt, in diesem Fall: Magie, Gedankenlesen, auch Glaube (hier: hypnotische Konzentration). – Andererseits wird das Erkennen der tatsächlichen Zusammenhänge durch Informationsmüll und banale Verschleierung (stillschweigend wechselnde Anordnung der Symbole, Unübersichtlichkeit, Ablenkungen und Spektakel) erschwert. Die Leute sollen nicht außerhalb des vorgefertigten Denkschemas nach Erklärungen suchen (auch die "mystischen" Symbole sind dahingehend angelegt) . – Im nächsten Stadium, das hier zum Glück nicht realisiert ist, werden diejenigen, die sich nicht daran halten, geächtet, verleumdet oder sogar kriminalisiert und bestraft.

Bezeichnend ist übrigens auch, daß man solche Manipulationen beim ersten Mal oft praktisch nicht durchschauen kann, weil die Irritation groß genug ist und wichtige Informationen (hier: daß die Anordnung der Symbole sich jedesmal ändert) beim ersten Durchlauf fehlen. Es gibt deshalb zwei Möglichkeiten, die Manipulation zu dekonstruieren; Voraussetzung ist dabei jeweils die gesunde Skepsis und ein nicht kritikloses Schlucken des vorgesetzten Systems:

1. durch Testreihen und Prüfen auf sich wiederholende Muster oder Abläufe, um daraus auf den Mechanismus und von diesem auf das Ziel zu schließen, manchmal auch umgekehrt (ist u.U. ein langwieriger Prozeß, da ereignisgebunden, und ist in der Realität auch nicht immer möglich bzw. zuverlässig);

2. durch die Analyse der diktierten Regeln und Denkmuster: wohin führen sie (wenn überhaupt), was ist der eigentliche Kern, sind die aufgestellten Paradigmen sinnvoll oder "zielführende Ablenkung", und wenn ja, wovon?, etc. (Das setzt gewisse Abstraktion und Erfahrung mit manipulativen Systemen, zumindest aber Lernfähigkeit und tiefere, unhysterische Beschäftigung damit voraus, d.h. Interesse, Beharrlichkeit, manchmal auch einen bestimmten Wissensstand.)

Oft findet man den Einstieg zu 2. übrigens durch eine recht einfache Überlegung oder gesunden Menschenverstand, z.B.: "Wenn die Kugel wirklich Gedanken lesen könnte, warum muß ich dann erst Rechenaufgaben lösen und kann mir nicht gleich eine beliebige Zahl denken? Der Schlüssel zur Manipulation muß also in dieser Rechnung stecken…" — In vielen Fällen ist natürlich das berühmte Cui bono?, also die Frage "Wem nützt es, wer profitiert davon?", ein Anfang, der die Richtung weisen kann.

Bei der Magischen Kugel reichen noch einfache mathematische Abstraktion und die Beherrschung der Grundrechenarten, um über Methode 2 die Erklärung zu finden (außerdem hilft die Erfahrung, daß es solche Systeme in verschiedenster Form gibt). Auch mit Methode 1 kommt man nach einigen Versuchen zum Ziel.

Übertragen auf Ereignisse und Entwicklungen im gesellschaftlichen Kontext, die uns heute fast ausschließlich medial gefiltert erreichen, werden solche Betrachtungen sehr interessant, aber auch schnell sehr komplex — egal, nach welcher Methode man vorgeht. Der nötige Wissensstand für 2. kann dabei dann detaillierte Kenntnisse politischer, kultureller, ökonomischer, historischer, technischer, biologischer oder anderer Zusammenhänge erfordern. Oft wird man deshalb beide Methoden kombinieren.

Die Mediengesellschaft

Die Vermittlung von bestimmten Denkschemata und Paradigmen erfolgt in unserer Öffentlichkeitsgesellschaft zum größten Teil über mediale Aufmerksamkeitsstrategien. Manipulative oder manipulierte Botschaften, Schlagworte und "Zusammenhänge" werden von den jeweiligen Akteuren auf möglichst vielen medialen (und anderen) Ebenen und durch möglichst häufige Wiederholung, aber auch durch Vernetzung und Koordination mehrerer Botschaften und Botschafter eingebracht, und das sowohl plump-vordergründig als auch höchst subtil, bis hin zu rechtlich fragwürdigen Täuschungsmanövern (wie den gekauften Dialogzeilen in beliebten TV-Sendungen durch das neoliberale Projekt "Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft" – ein Name, der seinerseits schon manipulativ ist). Hierbei entscheiden einerseits Strategien, andererseits auch die Zugangsmöglichkeiten zu Medien und gesellschaftlichen Ebenen oder technische und finanzielle Kapazitäten über das Wie. — Natürlich können Manipulationen auch in anderen Bereichen der Gesellschaft erfolgreich betrieben werden: in der Bildung, im kulturellen Bereich, in der kommunalen Öffentlichkeit usw.

Die zunehmend stärkere Kopplung von gesellschaftlicher und medialer "Wirklichkeit" (diese vielleicht als Substitution religiöser "Wirklichkeit" vergangener Zeiten) begünstigt von sich aus bereits manipulatives Vorgehen, da jede medial vermittelte Realität letztlich gefiltert und damit "konstruiert" ist, mag man sich auch noch so redlich um authentische Information bemühen. Es gibt also bereits ein manipulatives Untergrundrauschen, eine nicht unbedingt zielführende, individuelle Manipulation, der jedes Mitglied der Gesellschaft unterliegt. In diesem Nährboden können gezielte Kampagnen der Beeinflussung problemlos Fuß fassen und gedeihen dann fast von selbst.

Solche gezielten Strategien sind folgerichtig längst zum Standardinstrument einer politischen Kultur geworden, bei der es vorrangig um die "Vermittlung" bereits vorformulierter (oft genug unpopulärer) Konzepte statt um inhaltliche Diskussion geht. Keine wichtigere Gesetzesvorlage oder Entscheidung, kein Wahlkampf, keine sogenannte Reform (auch nicht die der Rechtschreibung), die nicht von massiver manipulativer "Vermittlungsarbeit" begleitet wäre, in der Regel tatkräftig unterstützt von den Interessengruppen, die davon profitieren. Diese mediale Selbstabschnürung des gesellschaftlichen Diskurses führt zu einem regelrechten Fetisch der Spiegelfechterei, wie sie in den Polit-Talkshows par excellence vorgeführt wird (wo z.B. die INSM durchaus schon ihre "Botschafter" gleichzeitig auf scheinbar gegensätzlichen Positionen plazierte). In dieser Hinsicht bekommt die mediale Darstellung und "Vermittlung" einen überproportional starken Fokus und einen höheren Realitätscharakter als das zugrundeliegende Ereignis – ein Phänomen, das der französische Filmemacher und Medientheoretiker Guy Debord bereits in den 60ern als "Gesellschaft des Spektakels" beschrieben hat. Unter diesem Gesichtspunkt müssen Manipulationen sogar als die zentralen Elemente der Mediengesellschaft angesehen werden; Demokratie verkommt dabei zur Quotenmessung für deren Erfolg.

Paradigmen

Ein klassisches Beispiel für die verschiedenen Facetten von Manipulation – größtenteils zielgerichteter Art – ist natürlich "der 11. September" (d.h. die Terroranschläge in den USA von 2001), seine gesellschaftlich-mediale Wahrnehmung, die offizielle Legende und die politischen Implikationen. Die haarsträubenden Ungereimtheiten vor und während der Tat und bei den Ermittlungen werden bis heute nicht in den "Mainstream-Medien" aufgearbeitet. Stattdessen werden Denkschemata und Paradigmen in oben genannter Weise vorgegeben und übernommen; das bekannteste ist das plumpe "Seit dem 11.9. ist nichts mehr, wie es war". Es gibt viele Aspekte, die subtiler und dabei tiefgreifender sind (wie das Paradigma des "Kampfes der Kulturen"). — Speziell zum weiter oben erwähnten Thema Ablenkung und Verwirrung ist gerade ein interessanter Text von Christian Walther erschienen, der sich mit den Protokollbändern der US-Luftraumüberwachung vor und während der Anschläge beschäftigt (Download bei M. Bröckers, hier). Dabei handelt es sich noch um den nicht-medialen Teil des "Spektakels", also um einen kleinen Ausschnitt des hochkomplexen manipulativen Systems, das sich hauptsächlich im Nachhinein entfaltet hat (falsche Spuren, fingierte und unterschlagene Beweise, Paradigma des "Krieges gegen den Terror", Einschränkung der Bürgerrechte usw.). Analysen dazu gibt es mittlerweile bekanntlich viele, darunter etliche hoch seriöse, die durch umfangreiche Recherchen unterlegt sind: Hopsicker, Bröckers und Hauß, Ruppert – um nur einige Namen zu nennen. In der Regel haben diese "Abweichler", wie oben angedeutet, aber eine Diskreditierung durch Medien und Politik erfahren, ohne daß auf die Recherchen und Fakten überhaupt eingegangen worden ist. (NB: Selbst das FBI hat kürzlich zugegeben, daß auch fünf Jahre nach dem Verbrechen trotz "größter Fahndung in der Geschichte" keine echten Beweise für eine Beteiligung von al-Qaida vorliegen. Solche Informationen versickern immer noch im Treibsand der Manipulation.)

Der "Desinformationsquotient"

Zum Schluß noch einmal zurück zur Magischen Kugel und zum Stichwort Informationsmüll oder Desinformation. Schaut man sich die Liste der Symbole an unter dem Gesichtspunkt, daß wir die Lösungsmenge der Rechnung kennen, dann stellt man fest, daß von den 100 Symbolen in der Liste 91 dazu da sind, Verwirrung zu stiften. Dies korrespondiert erstaunlich gut mit einer Aussage von Andreas v. Bülow, Bundesminister a.D. und zeitweise Mitglied der parlamentarischen Kontrollkomission der Nachrichtendienste, der über die verdeckten Operationen von Geheimdiensten wie der CIA sagt:

"Unterhalb der Kriegsführungsebene, abseits jedes Völkerrechts sollen fremde Staaten beeinflusst werden, etwa indem man Aufstände inszeniert oder Terroranschläge, in der Regel kombiniert mit Drogen- und Waffenhandel und Geldwäsche. Das ist im Kern ziemlich einfach: Man rüstet gewalttätige Leute mit Waffen aus. Da aber auf keinen Fall rauskommen darf, dass ein Geheimdienst dahinter steckt, werden mit großem Aufwand jegliche Spuren verwischt. Ich habe den Eindruck, dass derartige Geheimdienste 90 Prozent ihrer Zeit damit verbringen: falsche Fährten legen." — (Interview, 2002)

Hier wird noch einmal der Modellwert der Magischen Kugel deutlich und auch, warum ein simples Stück angewandter elementarer Mathematik mir so viele (sicher auch nicht unmanipulative) Zeilen Text wert ist.

 

Spiele wie die Kugel können als Manipulationen über ihren Unterhaltungswert hinaus auch eine Möglichkeit sein, das grundlegende Wesen von Manipulationsmechanismen begreifbar oder bewußt zu machen und eine kritische Grundhaltung bezüglich Meinungsmache, Desinformation und sozialer und politischer Demagogie zu entwickeln.

Als Spiel ist die Zauberkugel dann allerdings komplett langweilig, und die Welt ist wieder um ein Stück "Magie" ärmer. Aber es heißt ja, wirkliche Magie findet man sowieso nur im wahren Leben.

   

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