Druckansicht
12. September 2011  

Das Wunder von Avignon

… oder wie ich lernte, die Schmutzige Bombe zu lieben

Zumindest bisher hat noch kein Terrorist dieser Welt tatsächlich eine sog. "schmutzige Bombe", d.h. einen mit schwach radioaktiven Substanzen (z.B. Abfällen aus der Reaktorwirtschaft oder Medizin) bestückten konventionellen Sprengsatz, gebaut und eingesetzt. Und das, obwohl dies seit Jahren von einschlägigen politischen Akteuren immer wieder herbeiphantasiert (oder herbeigewünscht?) wird.

Nun ist heute in Frankreich, bei Avignon, also ganz in der Nähe des Uran-Lecks von Tricastin (2008), offenbar ein Schmelzofen explodiert, in dem "schwach radioaktiv kontaminierte Metalle eingeschmolzen" werden, die beim AKW-Betrieb oder auch in anderen Reaktoren anfallen. Dabei bestehe die Gefahr, daß "radioaktives Material in die Umwelt gelangen" könnte. Das Ereignis wurde allerdings offiziell als Industrieunfall eingestuft, nicht als Atomunfall.

Legt man ein wohlwollendes Szenario für die Entstehung radioaktiver Kontamination (sog. Aktivierung) von Metallen zugrunde, dann geschieht das u.a. durch den Einfang von bzw. die Wechselwirkung mit thermischen Neutronen, d.h. Neutronen mit mäßiger kinetischer Energie. Wikipedia schreibt dazu anmerkend: "Die Neutronenaktivierung [...] dient auch zur Herstellung von Radionukliden für z.B. medizinische Zwecke."

Ebenfalls in der Wikipedia sind die — hypothetischen — Bestandteile für eine schmutzige Bombe aufgeführt (hypothetisch, da diese Bombe eben bisher nur in der Phantasie der Sicherheitspolitiker existiert; Uranmunition wird hier offenbar außen vor gelassen): Es würde sich danach mit großer Wahrscheinlichkeit um Stoffe handeln, die "für eine Reihe wissenschaftlicher und medizinischer Anwendungen eingesetzt [werden]. Sie sind leichter zu gewinnen, weiter verbreitet, unterliegen geringeren Sicherheitsvorschriften und sind daher deutlich einfacher zu beschaffen als spaltbares Material für Kernwaffen."

Vergleicht man beide Aussagen, so muß man zu dem Schluß kommen, daß in Südfrankreich eine schmutzige Bombe explodiert ist. Das Über-Katastrophenszenario, die postapokalyptische Steigerung des 9/11-Fanals und unser schlimmster Alptraum — nichts weiter als ein normaler Industrieunfall, bitte weitergehen? Wie paßt das zusammen? Immer wieder erstaunlich, wie offensichtlich die doppelten Maßstäbe angesetzt werden, wenn es um Propaganda und Angsterzeugung einerseits und um den Schutz von Wirtschaftsinteressen andererseits geht. Zumal man ja weiß, daß beides auch durchaus miteinander zusammenhängt.

   

Kommentar schreiben

Sie müssen sich anmelden um Kommentare zu schreiben.

Trackback zu diesem Artikel  |  Kommentare als RSS Feed abonnieren





[Navigation:]