Vom “Führer der Welt” zum “Sprecher der Welt”
[ Aktualisiert: 29.10.09 ]
Der Friedensnobelpreis für Obama dürfte größtenteils ein Preis gegen die Ära George W. Bush sein
von Daniel Palloks
Die Nobel-Stiftung vergibt bekanntlich keinen Kriegsnobelpreis. Den hätte George W. Bush und seine Clique verdient und auch bekommen. In nur 8 Jahren haben diese Leute nicht nur internationales Recht, darunter das seit dem Ende des 30jährigen Krieges sich entwickelnde Kriegsvölkerrecht, nachhaltig beschädigt und in zwei großangelegten Angriffskriegen ganze Weltregionen in Chaos und Elend gestürzt, mit hunderttausenden unschuldigen Opfern. Sie taten das zudem noch aus profanen, kaum kaschierten ökonomischen Interessen heraus, vorwiegend solche der Industrielobbys, die sie selbst repräsentierten. Im Inland haben sie fundamentale Bürgerrechte außer Kraft gesetzt, ein totalitäres Überwachungssystem gegen die eigene Bevölkerung installiert und gleichzeitig die soziale Ungleichheit und Verarmung ganzer Bevölkerungsschichten vorangetrieben. Umweltschutz haben sie zugunsten der rücksichtslosen kommerziellen Ausbeutung von Naturresourcen ad acta gelegt. Begleitet wurde ihre arrogante Politik von diplomatischem Rowdytum, das keinen Respekt vor internationalen Institutionen und Gepflogenheiten kannte. All das diente als leuchtendes Beispiel für andere Länder, nicht nur in Europa, um ebenfalls Bürgerrechte abzubauen, imperiale Machtpolitik wieder salonfähig zu machen und politische Gegner unter dem Vorwand "Terrorbekämpfung" zu verfolgen. Ganz zu schweigen vom religiösen Fundamentalismus, Wahlfälschung und Korruption. Aber wie gesagt: Einen Kriegsnobelpreis gibt es nun einmal nicht.
Dafür gibt es einen Friedensnobelpreis. Den hat jetzt Barack Obama bekommen, der charismatische Nachfolger von Bush Junior. Warum hat er ihn bekommen? Nun, das ist inhaltlich schwierig zu begründen. Schließlich hat der Mann in seiner neunmonatigen Amtszeit in puncto Frieden noch kaum etwas geleistet, außer ein paar unverbindliche "Ruck-Reden" zu halten. Im Irak herrscht noch lange kein Frieden, auch wenn die Truppen tatsächlich vollständig abziehen sollten (was allerdings zu bezweifeln ist). In Afghanistan eskaliert die Gewalt, dort pumpt Obama mehr und mehr Truppen hinein – und nötigt Andere, es ihm gleich zu tun. Der "Friedensprozeß" in Nahost ist in einer größeren Sackgasse als je zuvor, Palästina nur noch eine Ansammlung von fragmentierten Ghettos, während israelische Siedler unter Polizeischutz wieder einmal die Al-Aqsa-Moschee in Jerusalem besetzt halten, das Heiligtum der gesamten muslimischen Welt. Innenpolitisch findet eine Aufarbeitung der Bush-Ära nicht statt, von einer Verfolgung und Bestrafung der Verantwortlichen ganz zu schweigen. Guantánamo ist immer noch in Betrieb und wird es wohl noch eine Weile bleiben – die erforderlichen Gesetze im Rahmen des "PATRIOT Act" sollen verlängert werden. Das berüchtigte Foltergefängnis auf der Militärbasis Bagram in Afghanistan wird unter Obama massiv ausgebaut; statt aktuell 650 sollen später 1200 Menschen dort inhaftiert werden können. Und am selben Tag, als das Nobelkomitee seine Entscheidung bekanntgab, ließ das Pentagon wissen, es verfüge nun über die größte bunkerbrechende Bombe aller Zeiten, ein 14-Tonnen-Monstrum, mit dem wohl u.a. Iran politisch (militärisch?) "in die Knie gezwungen" werden soll. Daß diese Bombe die mächtigste nicht-nukleare Waffe der Welt ist, bestätigt immerhin auf zynische Weise eines der wenigen inhaltlichen Argumente für den diesjährigen Friedensnobelpreis: nämlich daß Obama sich für eine Welt ohne Atomwaffen einsetzen würde!
Warum bekommt jemand, der im Grunde, wenn man es wohlwollend betrachtet, lediglich das tut, was man von einem "normalen" Politiker erwartet, ohne sonst irgendwie hervorzustechen (jedenfalls über das hinaus, was das Amt des US-Präsidenten ohnehin hergibt), diesen schwergewichtigen Preis? Ist es eine post-bushistische Befreiungsgeste? Ein Zeugnis, daß politischer Pragmatismus – von Vernunft mag man ja gar nicht sprechen – derart rar geworden ist? Daß der Friedensnobelpreis ein rein politisch-symbolischer Preis ist, wird klar, wenn man sich die Liste der Preisträger ansieht. Dort steht der Machiavellist Henry "Es-gibt-zu-viele-Menschen-auf-der-Welt" Kissinger auf einer Stufe mit Bischof Tutu, der kalte Krieger George C. Marshall mit dem Bürgerrechtler Martin Luther King, der Ex-Terrorist und Likud-Mitbegründer Menachem Begin und der Ex-Terrorist Jassir Arafat mit dem Humanisten und Pazifisten Albert Schweitzer oder den Quäkern. Soweit, so beliebig. Immerhin hatten selbst diese Leute zumindest irgendwann einmal eine singuläre Tat, die man als friedensschaffend bezeichnen könnte, vollbracht. Selten hat jedoch eine Nobel-Entscheidung so viel "Überraschung" (lies: ungläubiges Erstaunen und Erklärungsnöte) in den Medien hervorgerufen wie diese. Vielleicht mit Ausnahme von 2007, als Al Gore den Preis für seinen Umweltaktivismus bekam, von dem man zwei Jahre zuvor auch noch nicht viel gehört hatte. Greenpeace ist dagegen bis heute nicht unter den Preisträgern. Ebensowenig wie die Organisationen, die sich seit Jahrzehnten konsequent für die Ächtung atomarer Waffen weltweit einsetzen. [Korrektur: 1985 bekamen die Internationalen Ärzte gegen den Atomkrieg, IPPNW, den FNP. An der Argumentation, daß etwas Substantielles vorzuweisen sein sollte, ändert das nichts.] Übrigens hat sich auch Mahmoud Ahmadinejad wiederholt für eine atomwaffenfreie Nahostregion ausgesprochen. Dort ist zur Zeit allein Israel im Besitz atomarer Waffen und erwägt unter anderem, diese bei einem Präventivschlag gegen das behauptete Atomwaffenprogramm Irans einzusetzen. Beides kann man natürlich – je nach Standpunkt – ebenfalls als Einsatz für eine atomwaffenfreie Welt ansehen…
Jedenfalls bleibt an dieser Stelle die Frage, und sie bleibt ungeklärt, womit Barack Obama den Friedensnobelpreis nun genau verdient hat. Es scheint, als sei der Preis in Wirklichkeit ein Preis gegen den Bushismus. Nur hat man sich nicht getraut, das offen zu sagen. Im Grunde hätte ihn jeder bekommen können, der Bush im Amt ablöst. Konsequenterweise hätte ihn also das amerikanische Wahlvolk erhalten müssen. Vielleicht ist am Ende auch das Nobel-Komitee nur der allgemeinen Obamaphorie erlegen. Außerdem ist Obama der erste "Afroamerikaner" im Amt. Schade, daß es keinen Afro-Nobelpreis gibt!
Eine Meldung von tagesschau.de berichtet unter Berufung auf Berichte des US-Magazins The New Yorker, wie die Obama-Administration gezielte Tötungen mittels ferngesteuerter Drohnen als "offizielle Politik" adaptiert hat. Weiterhin heißt es dort:
Allein in den ersten neun Monaten seiner Amtzeit habe Präsident Obama 41 Angriffe mit Hilfe ferngesteuerter Drohnen angeordnet. Das wären mehr Angriffe mit unbemannten Kleinstflugzeugen als in den gesamten letzten drei Jahren der Amtszeit von George W. Bush. Nach Recherchen der Zeitung "The New Yorker" wurden bei diesen ferngesteuerten Angriffen auf mutmaßliche Terroristen in Pakistan mehr als 500 Menschen getötet.Ausgeführt werden die Drohnenangriffe nicht vom US-Militär, sondern vom Auslandsgeheimdienst CIA. Der bestimmt, wer mit Hilfe der Predator-Drohnen in Pakistan getötet wird. Auf die Tötungsliste der CIA wurden nach Informationen der Militärexpertin Jane Mayer von der Zeitung "The New Yorker" auch einige Feinde der pakistanischen Regierung gesetzt, um sich das Wohlwollen der Machthaber in Islamabad für den massiven Einsatz der US-Drohnen zu sichern.
Richtig ist allerdings, daß es zwei parallele Drohnenprogramme gibt: ein rein militärisches und ein verdecktes, das von der CIA unter Zuhilfenahme von "private contractors" wie Xe Services (ehem. Blackwater Corp.) betrieben wird und völlig außerhalb jeglicher demokratischer Kontrolle agiert. Dieses Programm operiert weltweit. Die Autorin Jane Mayer schreibt dazu in ihrem Artikel The Predator Wars im New Yorker unter anderem:
Obama has left in place virtually all the key personnel [of the C.I.A.'s covert drone program --dp] . The program is classified as covert, and the intelligence agency declines to provide any information to the public about where it operates, how it selects targets, who is in charge, or how many people have been killed.
Nevertheless, reports of fatal air strikes in Pakistan emerge every few days.Die unter Bush/Cheney bevorzugte Politik, wonach sich irreguläre Kombattanten (nämlich Söldner und Geheimdienste) als Ankläger, Richter und Henker zugleich – bzw. als Mordkommandos, die sich "Ziele auswählen" – aufspielen dürfen und dabei straffrei bleiben, wird offenbar unter der neuen Regierung nahtlos weitergeführt.
(dp)
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