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3. Oktober 2007  

“Freiheit statt Angst!”

Impressionen von der Demo gegen den Überwachungsstaat

von Daniel Palloks

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Foto: D. Palloks

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Hier also einige Fotos von der unerwartet großen Demo am 22. September in Berlin. Dazu ein paar Kommentarzeilen von mir, damit’s nicht so öde wird…

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Foto: D. Palloks

Die Veranstalter hatten mit 5.000 Teilnehmern gerechnet; gekommen waren weit über 10.000 (nach meiner eher konservativen Schätzung; die Veranstalter sprachen von zeitweilig 15.000). Vor einem Jahr waren es nur einige hundert gewesen.

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Stasi-Versionshistorie. Im Hintergrund lauert der Bundestrojaner (aufs Bild klicken!).
Foto: D. Palloks

Vom antikapitalistischen Block bis zur FDP-Basis, von der Ärzteschaft über Journalistenverbände bis zur evangelischen Telefonseelsorge waren ganz offensichtlich Menschen mit den verschiedensten politischen, weltanschaulichen und sozialen Hintergründen auf der Straße.

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Auftakt der Demo am Pariser Platz. Wegen der Rangeleien am Adlon verzögerte die Polizei den Beginn des Umzugs
und ließ die Menschen eine halbe Stunde lang in der prallen Sonne stehen. Es blieb trotzdem friedlich.
Foto: D. Palloks

Gemeinsam war ihnen allen die Sorge um die Erosion der Freiheitsrechte, die Ablehnung immer weitreichenderer staatlicher Eingriffe in die Privatsphäre und die Angst vor willkürlicher, präventiver Überwachung, Protokollierung und Kriminalisierung jeglicher Aktivitäten des Lebens, sei es beruflich, politisch oder privat. Es war — das stand sogar in den knappen Meldungen der Medien zu lesen — die größte Demonstration für Bürgerrechte und Datenschutz in der BRD seit 20 Jahren (damals gab es Proteste gegen die Völkszählung, und die Angst vor dem "gläsernen Bürger" ging erstmals um).

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Teil des Demozugs Unter den Linden, in Richtung Alexanderplatz.
Im Vordergrund der antikapitalistische ("Schwarze") Block.
Foto: D. Palloks

In den Redebeiträgen wurde vor allem die geplante Vorratsdatenspeicherung sämtlicher Verbindungsdaten der Telekommunikation (bei Handys zusätzlich die Standortdaten) angeprangert, da diese alle Bürger gleichermaßen betreffen wird und Rückschlüsse über das gesamte berufliche und soziale Umfeld jeder Person zuläßt. Zudem werden Grundvoraussetzungen der Arbeit von Anwälten, Journalisten, Ärzten oder Seelsorgern (wie Quellen- und Mandantenschutz, Schweigepflicht usw.) damit ausgehebelt.

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Foto: D. Palloks

Die geplante Vorratsdatenspeicheurung ist wieder einmal ein "Türöffner", denn ist das Gesetz erst einmal in Kraft, kann es jederzeit ausgeweitet werden, z.B. was die zu protokollierenden Zeiträume angeht. Von sechs Monaten bis unbegrenzt/lebenslang ist es dann legislativ kein großer Schritt mehr.

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Gläserne Patienten — und gläserne Ärzte (Anklicken für ganzes Bild). Foto: D. Palloks

Weitere Schwerpunkte waren

  • die geplanten Online-Durchsuchungen des BKA – oder besser: staatliche Hacker-Angriffe auf private (und kommerzielle) Rechner mittels Spionagesoftware und Methoden, die ansonsten wahrscheinlich unter den Terror-Paragraphen 129a fallen würden;
  • die elektronische Gesundheitskarte in Verbindung mit der geplanten Speicherung sämtlicher Gesundheitsdaten von Personen in einer zentralen Online-Datenbank – auch das ein Türöffner, denn wie lange wird es wohl dauern, bis Behörden oder Versicherungen darauf Zugriff bekommen (natürlich nur zu unserer Sicherheit oder um die Verwaltung zu verschlanken oder was auch immer);
  • der schon genannte §129a und seine politische Instrumentalisierung, z.B. bei den G8-Protesten oder bei der kürzlichen Inhaftierung eines Berliner Wissenschaftlers, dem u.a. zur Last gelegt wird, Kontakt zu einem von drei ebenfalls verhafteten Personen gehabt zu haben, die wegen eines Deliktes von Sachbeschädigung (Brandsätze unter Bundeswehr-LKWs) nun unter Terrorverdacht stehen;
  • die ausufernde Überwachung mittels Videokameras und RFID-Technologie im öffentlichen Raum
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Durch die Blume gesagt… (Anklicken für ganzes Bild) Foto: D. Palloks

Zudem wiesen die Veranstalter darauf hin, daß derzeit eine Verschärfung des Berliner Polizeigesetzes vorbereitet wird. Dabei soll der quasi-automatische Zugriff der Polizei auf (private) Videoüberwachung im öffentlichen Raum, z.B. aus Bussen und Bahnen, erweitert werden; außerdem sollen die Fahndung mit Gendaten und die Handyüberwachung erleichtert werden. Erstaunlicherweise wird das Vorhaben auch von der Linken gebilligt, die in Berlin zusammen mit der SPD regiert – und zwar mit der Begründung, daß z.B. das Prozedere mit den Videodaten ja sowieso längst gang und gäbe sei!

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Staatliche Überwachung der Demo gegen staatliche Überwachung. Foto: D. Palloks

Schlimm sind aber nicht nur die inflationär aus der Schublade geholten Maßnahmen an sich, sondern gerade auch ihre Verbindung. Zugriffe auf Videobänder der BVG, auf Telekommunikations- oder genetische Daten können dann nämlich beispielsweise im Rahmen von "verdachtsunabhängiger" oder "präventiver" Ermittlung bei der "Terrorabwehr" (dies bekanntlich ein äußerst schwammiger Begriff) erfolgen. Dabei wächst die Wahrscheinlichkeit immens, als Unschuldige(r) ins Visier einer enthemmten Verfolgungs- und Überwachungsmaschinerie zu gelangen und der geballten staatlichen Macht zunehmend macht- und rechtlos gegenüberzustehen. Es ist das Szenario eines technokratischen Polizeistaates, und seine Realisierung hat längst begonnen.

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Foto: D. Palloks

Will man einen Eindruck bekommen, wozu diese repressiven Synergie-Effekte führen können, muß man nicht einmal dorthin schauen, wo sich der totalitäre Staat — in Verbindung mit einer boomenden neuen Branche, der Sicherheitsindustrie — bereits herauskristallisiert, nämlich in den USA oder in Großbritannien. Auch der oben erwähnte Fall des Berliner Soziologen, der in seinen wissenschaftlichen Texten angeblich ähnliche Formulierungen verwendet wie eine obskure terroristische Vereinigung namens "militante gruppe", zeigt sehr drastisch, wie schmal der Grat vom Polizeistaat zur Gesinnungsdiktatur ist (als ob wir hierzulande nicht genug Erfahrungen damit gehabt hätten).

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"Mein Fuehrer, I can watch!" (Anklicken für ganzes Bild.)
Foto: D. Palloks

Und auch in Deutschland gibt es bereits Ansätze des "totalitär-industriellen Komplexes". Beispiel Otto Schily, dem wir nicht nur die erste Welle der Anti-Terrorgesetze, sondern auch den biometrischen Paß zu verdanken haben, welcher nachweislich nicht sicherer sondern unsicherer als der herkömmliche ist, aber dafür ein Werkzeug, um flächendeckend Fingerabdrücke zu sammeln: Herr Schily bezog kurz nach seinem Ausscheiden als Bundesinnenminister Posten in den Aufsichtsräten von gleich zwei Firmen, die ihr Geld mit biometrischen Sicherheitstechnologien machen. Leider blieben solche unheiligen Allianzen auf der Demo unerwähnt. Das wird sich hoffentlich in Zukunft ändern.

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Foto: D. Palloks

Die Demonstration verlief als Ganzes ausgesprochen friedlich, und zwar über mehr als fünf Stunden. Das ist die wesentliche Aussage. Die Stimmung bei den Demonstrierenden war gut, trotz des recht martialischen Auftretens der anwesenden Polizeihundertschaften (inkl. einer Hundestaffel) und mehrfacher rüder Belästigung von harmlosen Clowns durch "überforderte Polizisten". Eine Rangelei ergab sich zu Beginn, als am Nadelöhr des Hotels Adlon offenbar einige Demonstranten sich den Polizeikontrollen widersetzten. Der darauffolgende Reizgaseinsatz sollte später noch den Innenausschuß des Berliner Senats beschäftigen, allerdings ohne weitere Folgen. Die eigentliche Prügelorgie der Polizei fand gegen Ende der Demo auf dem Rückweg zum Brandenburger Tor statt, zwischen Schloßplatz und Bebel-Platz. Aus meiner Position unmittelbar hinter dem "antikapitalistischen Block" (neben dem ich die meiste Zeit hergelaufen war, ohne einen einzigen Akt von Gewalt oder auch nur "Störung" zu beobachten) war keine Ursache dafür erkennbar. Daß die Polizei später als Grund angab, seitliche Transparente seien zusammengeknotet worden, nährt den Verdacht, daß es keinen wirklichen Anlaß gab. Denn wie man auf den Fotos oben sieht, waren die Transparente bereits Stunden zuvor auf dem Weg zum Alex "zusammengeknotet" gewesen, ohne daß die Polizei daran Anstoß genommen hätte. Die Prügelei mit einem Dutzend verletzter Demonstranten und einigen Festnahmen führte zu weiteren Behinderungen des Demoablaufs durch die Polizei und letztendlich dazu, daß der "antikapitalistische Block" in Höhe Friedrichstraße offiziell seine Teilnahme beendete, um die restliche Veranstaltung nicht zu gefährden. Das war gegen 19 Uhr. Eigentlich sollte bereits Schluß sein. Trotzdem schafften es noch ein- bis zweitausend Leute zur Abschlußkundgebung auf dem Pariser Platz. Die Polizei wirkte am Ende recht erschöpft.

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Nanu… Schwarzer Block mit grüner Weste!? (Anklicken)
Foto: D. Palloks

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Link zu den Koordinatoren der Demo, dem "Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung". Dort Infos zu weiteren Aktionen, u.a. wird eine Massenklage beim Bundesverfassungsgericht gegen die TK-Vorratsdatenspeicherung vorbereitet: www.vorratsdatenspeicherung.de
   

3 Kommentare » Eigenen Kommentar schreiben

  • 1. Armin Dittrich  |  04.10. 2007, 22:51

    Hallo,

    danke für den guten Artikel!

    Es wäre übrigens auch mal interessant zu untersuchen, wie viel (genauer: wie wenig!) die Presse (und sei es nur die lokalere Berliner Presse) über die Demo berichtet hat!

    Eine Impression dazu: Am Montagabend nach der Demo, d.h. 2 Tage später, war eine Bekannte von mir überrascht, als wir ihr von der Demo berichteten. Aus der Zeitung (Berliner Zeitung) oder dem Radio hatte sie davon überhaupt nichts davon erfahren — auch später nicht mehr)! Zudem fiel sie fast “aus den Wolken”, als wir auf ihre Rückfrage nach der Teilnehmerzahl hin von 10.000 bis 15.000 sprachen! Das war ja wirklich eine große Demo gewesen!

  • 2. Armin Dittrich  |  04.10. 2007, 22:54

    Hallo,

    eine “wirtschaftliche” Überlegung möchte ich noch nachtragen:

    Bei — sagen wir — 10.000 Teilnehmern und (nur) 4 Stunden Aufwand pro Teilnehmer für die Teilnahme ergeben sich zusammen 40.000 Stunden.

    Ein Arbeitsjahr wird in der Regel mit 1.600 Arbeitsstunden angesetzt.

    Die obigen 40.000 Stunden entsprechen dann somit 25 (!) Arbeitsjahren!

  • 3. daniel  |  05.10. 2007, 17:05

    @Armin:

    “Es wäre übrigens auch mal interessant zu untersuchen, wie viel (genauer: wie wenig!) die Presse (und sei es nur die lokalere Berliner Presse) über die Demo berichtet hat!”

    Das wäre es in der Tat. Im letzten Absatz sind zumindest zwei Meldungen aus der Berliner Zeitung verlinkt, die sich allerdings hauptsächlich mit der Nachlese der Polizeieinsätze am Adlon und am Schloßplatz befassen. Das waren m.E. die einzigen Meldungen zu der Demo in dieser Zeitung.

    Interessant ist auch eine Formulierung, die in fast allen “Mainstream”-Medien in dem Zusammenhang auftaucht, vorwiegend in den Überschriften: “Tausende protestierten in Berlin…” bzw. “Mehrere tausend Menschen…”. Das ist zwar faktisch korrekt, denn auch zehn- oder fünfzehntausend Menschen sind “mehrere Tausend”; es bleibt aber dennoch höchst tendenziös (die Zahlen werden dann im Laufe des Textes meist noch präzisiert).

    Doch es geht auch anders. Zur selben Zeit kamen wesentlich konkretere Angaben über die Zahl der Demonstranten in Myanmar (z.B. hier und hier), und das, obwohl die Informationslage dort, wie es immer heißt, äußerst unsicher ist. — Wie kommt es, daß die Medien in Rangoon, wo Journalisten doch längst ausgesperrt worden sind, genauer zählen können als auf einer Demonstration in Berlin-Mitte?

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